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Bieber ev.
Erbauer: Andreas Schmidt
Baujahr: 2004



Disposition:

Hauptwerk     Oberwerk  
Principal 8'   Holzgedeckt* 8'
Gamba 8'   Rohrflöte 8'
Salicional ab c° 8'   Holzflöte 4'
Oktave 4'   Quinte 2 2/3'
Gemshorn 4'   Octave 2'
Mixtur* 3f 2'   Oboe 8'
         
Pedal        
Subbaß * 16'      
Violon * 8'   * Ratzmannpfeifen  
         
Nebenzüge        
Ventus, Calcant        
         
Spielhilfen
Normalkoppeln
 
System
mechanische Schleiflade, hängende Traktur
Manuale C-g''', Pedal C-f'
Zentraler Wind, Doppelfaltenbalg auf dem Dachboden mit Tretanlage
Temperierung: Gleichstufig



Festschrift:

 

 

Die neue Andreas Schmidt-Orgel
in der unteren Kirche von Bieber




Opus V 2003
Der Orgelbauer zu seinem Werk

 

Zeitgleich zur Entstehung der unteren Kirche in Bieber wurde eine neue Orgel angefertigt. Sie stammte vermutlich von dem Orgelmacher Peter Schleich aus Lohr, der um 1760 auch hier in unserer Gegend tätig war. Diese Orgel hat wohl 150 Jahre überdauert und wurde aus unbekannten Gründen von Wilhelm Ratzmann 1910 durch ein komplett neues Werk ersetzt. Die Ratzmann Orgel hatte ein völlig anderes Steuersystem und orientierte sich klanglich am damaligen Trend. Man wollte weg vom "Herkömmlichen" und suchte nach neuen Möglichkeiten. In der Zeit um die Jahrhundertwende hat man gerne die zukunftsweisende Pneumatik zur Anwendung gebracht und den "romantischen Orgelklang" umgesetzt. In diesem Gebiet hatte sich Wilhelm Ratzmann bereits hervorgetan, seine Orgeln hatten die Experimentierphase hinter sich und das damals hochmoderne System funktionierte störungsfrei. Zudem waren seine Werke solide gebaut und Klangschön. Man konnte ohne Schwierigkeiten seine Linie erkennen.
Die 1910 erbaute Orgel von Wilhelm Ratzmann hatte 5 Register auf einem Manual und Pedal. Das Instrument war als pneumatisch angesteuerte Kegellade gebaut. Ein großer Balg mit Schöpfer stand im unteren Teil des Gehäuses. Darüber war das erste Manual mit einer 4' - und drei 8' Stimmen. 12 lange Pfeifen aus dem HW waren auf die Pedallade geführt, welche im hinteren Bereich weiter unten platziert war. Insbesondere standen darauf natürlich die großen Pfeifen vom Bourdon 16'.
Ratzmann nutzte das alte Gehäuse von 1767 um sein Werk darin unterzubringen. Die Form des Gehäuses musste sich jedoch der Technik seines Werkes anpassen und nicht umgekehrt, wie es eigentlich erforderlich gewesen wäre. Rahmenteile wurden zerschnitten, Füllungen wurden durch Bretter ersetzt, die Hauben wurden gekürzt, und alles nur damit das Werk von Ratzmann seinen Platz findet. Es entstand zwar eine klangschöne und solide Orgel, aber doch auf Kosten des bis dahin erhaltenen Gehäuses.
Die Ratzmann-Orgel überdauerte 57 Jahre bis eine Erweiterung des Werkes erwünscht war und durchgeführt wurde. 1967 stand zur Diskussion die doch relativ kleine Orgel zu vergrößern. Es wurde schließlich vorgeschlagen ein zweites Manual einzubauen. Dies führte mit sich, dass sowohl der Spieltisch, wie auch die Balganlage ersetzt werden musste, weil sonst kein Platz für das zweite Werk vorhanden gewesen wäre.
Der Bestand der ursprünglichen Orgel wurde ein weiteres Mal verändert. Das Instrument wurde völlig umdisponiert und auf 11 Stimmen erweitert. Die beiden alten, ursprünglich pneumatisch angesteuerten, Kegelladen wurden nun elektrisch angesteuert, sowie auch die neue Windlade vom zweiten Manual, die an der Stelle positioniert wurde an der vorher die großzügige Balganlage stand. Die Ratzmann-Orgel wurde ein typisches Opfer der "Orgelbewegung", bzw. des Zeitgeschmacks.

In den 90er Jahren häuften sich Fehler an der Orgel. 1996 stand man vor der Frage entweder das jetzige Instrument überholen zu lassen, oder ein neues bauen zu lassen. Es wurde eine Voranfrage nach den Kosten für ein neues Instrument gestellt. Im Jahre 2000 wurden verschiedene Firmen angeschrieben um nach einem Leistungsverzeichnis ihr Angebot abzugeben. In der Ausschreibung war gefordert die letzte Disposition mit kleinen Eingriffen zu übernehmen. Ausschlaggebend für den Zuschlag an die Firma "Andreas Schmidt Orgelbau" war das eigenwillige Konzept in dem eine vollwertige Disposition vorgeschlagen wurde.
Durch den Abbau der beiden Orgeln in Altenhasslau und Bieber war es möglich eine Disposition in Anlehnung alter Orgeln von Ratzmann zu entwerfen. Es entstand eine Brücke zwischen Ratzmann, Schleich und der neuen Orgel. Vorgesehen war nun ein Instrument auf 8'-Basis im alten Gehäuse unter Verwendung der erhaltenen Ratzmann Register. Auf dieser Grundlage wurde der Auftrag am 27.11.2001 erteilt.

Mit den praktischen Arbeiten wurde bereits im Spätsommer 2002 begonnen. Die Orgel wurde abgebaut um die Planung auf die bestehenden historischen Teile abstimmen zu können. Ernüchterung stellte sich ein als sich herausstellte, dass vom alten Gehäuse noch nicht einmal 10 Teile als original eingestuft werden konnten. Am ursprünglichen Konzept festhaltend wurde trotzdem versucht auf dieser Grundlage eine Rekonstruktion der ursprünglichen Fassade zu entwerfen. Bestehende Teile mussten am Zeichenbrett in den fehlenden Rest integriert werden. Architektonische Grundregeln und proportionale Gesetz-mäßigkeiten sollten das Puzzle am Zeichenbrett lösen. Vergleiche mit anderen Prospekten verschiedenster Orgeln wurden gesichtet. Letztendlich stellte sich heraus, dass eine fundamentierte und begründete Rekonstruktion nicht möglich gewesen wäre.
Es wurde eine Sitzung einberufen in der dieses Anliegen vorgetragen und eine Alternative vorgeschlagen wurde. Die Alternative bestand darin eine Fassade nachzubauen, die von Peter Schleich aus Lohr stammte. Auf einer Aufnahme von 1895 des Landeskonservators Dr. Ludwig Bickell sieht man die alte Orgel der Birsteiner Kirche. Diese Orgel wurde bei einem Kirchenbrand im Jahre 1913 völlig vernichtet. Der Vorschlag diese Fassade nachzubauen wurde angenommen.


Die Umsetzung des Entwurfes wurde ein zweites Male begonnen. Das alte vorhandene Foto zeigt das Instrument in einer Größe von 3,9 mal 4,3 cm. Auf dieser Basis mussten Proportionen, Linienführung und die Details wie Profile, Schnitzereien usw. entwickelt werden.

Der Standort des neuen Instrumentes war durch die benötigte Größe der Technik, sowie durch die Platzbeschränkung der Eisenstangen vorbestimmt.

Unsere Konstruktionsarbeit richtete sich darauf aus, alle Bauteile und jedes Detail in der Werkstatt herzustellen. Eisenwinkel für die Traktur, Bleipulpeten, Dichtungsringe aus Kasimir, gebogene Messingdrähte, Ventilfedern usw. wurden hier hergestellt. Auch die komplexen Teile wie Spieltisch, Windladen und Traktur sind einmalige Anfertigungen welche in der Werkstatt komplett gebaut wurden.

Unsere Absicht ist es homogene und ästhetische Instrumente in unserem eigenen Stil zu bauen. Die Werke sollen mehrere Generationen überdauern und sollen ein kleines Stück zur kulturellen Bereicherung in unserer Welt beitragen.

Der technische Aufbau des neuen Instrumentes von Bieber spiegelt den klassischen Orgelbau aus dem 18.Jahrhundert.


Um die Baugruppen zu erläutern, hier eine kurze Beschreibung die sich auf den alten Stich aus "Dom Bedos" bezieht. Da sitzt der Organist am Spieltisch, er drückt eine Taste und zieht damit an einer Abstrakte, die zum Wellenbrett führt. Das Wellenbrett überträgt die Bewegung von der Teilung der Klaviaturen in die Teilung der Windladen. Über Drähte werden die Ventile in den Windkästen gezogen, der Weg für den Wind ist bis zur Schleife freigegeben. Wenn ein Register gezogen wird, das ist ein langes 56-faches Ventil (Schleife) welches gleichzeitig alle Töne eines Registers schließt oder öffnet, so kann Wind in die angesteuerte Pfeife strömen. Die Pfeife erklingt, indem die vordefinierte Luftsäule in Schwingung versetzt wird. Unterschiedliche Tonhöhen sind durch die Längen vorgegeben, die Bauart, das Material und die Weiten beeinflussen Charakter, Farbe, Ansprache, Lautstärke usw...

Die Baugruppen und die Konstruktion:

Das Orgelgehäuse selbst ist in zwei Gruppierungen zu verstehen. Der vordere, farblich gefasste Teil wirkt schmuck und elegant. Das Zweckgehäuse hinter dem Stimmgang hebt die Tiefe des benötigten Raumes optisch auf. Das gesamte Instrument steht auf einem Bodenrahmen, der die Aufgabe hat, das Gewicht gleichmäßig auf den Emporenboden zu übertragen. Die Empore selbst wurde eigens zur Aufnahme der Traglast für die neue Orgel verstärkt.

Alle Verbindungen des Gehäuses sind formschlüssig als Zinkungen, Schlitz und Zapfen bzw. als Steckverbindungen gefertigt. Es gibt am Gehäuse keine Schrauben; es ist "gesteckt". An Hölzern wurden nur einheimische Arten verwendet, also Eiche, Fichte, Linde, Birne, Buche und Birke, je nach Eigenart und zu erfüllendem Zweck. Die symmetrisch angelegte Sägefurnierarbeit aus Birke verleiht dem Bedienungsbereich des Spieltisches Wärme, Geborgenheit und Eleganz. Aber auch ganz praktische Dinge begründen die Anwendung. Die glatte Oberfläche und die Anordnung, bzw. die Ergonomie, der Bedienungs-elemente schützen das Material vor Gebrauchsspuren.

Die Innenkonstruktion der Anlage wird, wie bei alten Werken, vom Lagerwerk des Gehäuses aufgenommen. Das Äußere ist also nicht nur Fassade, sondern verbindet Tragegerüst, Windladen, Pfeifenwerk, Traktur und Klangkörper in einer zusammenhängenden Konstruktion.
Die Windversorgung erfolgt über einen Doppelfaltenbalg auf dem Dachboden. Der Balg stammt ursprünglich aus der Gemeinde Södel und versorgte bis in die 60er Jahre eine sehr schöne Orgel von Johann Syer aus Florstadt (um 1750). Der jetzt restaurierte Magazinbalg mit Schöpfer stammt etwa aus der Jahrhundertwende und wurde in Södel vermutlich als Ersatz für die nach 150 Jahren ausgediente Keilbalganlage eingebaut.
Die in einer eigens aufgestellten Balgkammer untergebrachte Windanlage ist natürlich mit einem Gebläse ausgestattet, kann aber auch ohne Strom von einem Calcanten bedient werden. Die Luft wird aus dem Kirchenraum angesaugt und innerhalb des Systems an das Instrument weitergegeben.

Innerhalb des Pfeifenwerkes wurden verschiedene Register von Ratzmann übernommen und dem Klangentwurf angepasst. Es entstand eine Kombination aus neuen und restaurierten Pfeifen, welche klanglich sehr schön miteinander verschmelzen. Durch aufwendige Eingriffe ist ein einheitlich geformtes Pfeifenwerk entstanden das keine Brüche zwischen den tiefsten und den höchsten Pfeifen in der Bauart aufweist. Obwohl die Anordnung der Pfeifen bereits in den ersten Schritten der Planung vorbestimmt wurde kann man sich jetzt nicht mehr vorstellen, dass dies einer der ersten Arbeiten waren.
Alle Pfeifen unter 4' Länge (mit Ausnahme der Mixtur weil restauriert) sind auf Tonlänge geschnitten. Insbesondere die Oktave 4' soll somit eine stabile Orientierung für die Stimmtonhöhe sein.

Die Disposition der neuen Orgel in der unteren Kirche von Bieber:
II/14, Andreas Schmidt, 2003, opus V.

Hauptwerk:

I. C-g'''

 

Oberwerk:

II. C-g'''

 

Pedal:

C-f'

 

 

 

 

 

 

 

 

Prinzipal

8'

 

Oboe

8'

 

Subbaß*

16'

Gamba*

8'

 

Holzgedackt*

8'

 

Violon*

8'

Salicional*

8'

 

Rohrflöte

8'

 

 

 

Oktave

4'

 

Holzflöte

4'

 

 

 

Gemshorn

4'

 

Quinte

2 2/3'

 

 

 

Mixtur*

III f. 2'

 

Oktave

2'

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Koppeln:

 

 

Züge:

 

 

System:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II/I

 

 

Ventus

 

 

Mech. Schleiflade

I/P

 

 

Calcant

 

 

Hängende Traktur

II/P

 

 

Lux

 

 

Zentraler Wind


* Von Ratzmann stammende Pfeifen die zum Teil rekonstruiert, ergänzt oder umgebaut (Aufschnitthöhen, Kernspalten, Expressionen, veränderte Tonlängen usw.) werden mussten.

Am Orgelbau haben mitgewirkt :

Thomas Müller, Matthias Detsch,
Faxe Müller, Michael Deckenbach,
Dalibor Michek, Thomas v. Wolfersdorf,
Wolfgang Schramm, Andreas Schmidt

Herausgeber: Ev. Kirchengemeinde Bieber
Text: Andreas Schmidt
Fotografie: Andreas Schmidt
Gestaltung: Gerhard Weiß
Druck: Druck-Store Wächtersbach

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